„Ich habe ein Land, ohne Grenzen, mit einer einzigen Sprache, die jeder beherrscht …“ so beginnt das Gedicht „Tagtraum“ von Ilhan Güven. Sprachlosigkeit und der damit verbundene Ausschluss sind einprägsame Erfahrungen von Zugewanderten. In den Anfangsjahren der sogenannten „Gastarbeitsmigration“ wurden Deutschkenntnisse nicht vorausgesetzt und nicht gefördert. Man glaubte ohnehin an eine baldige Rückkehr. Spracherwerb fußte in der Regel auf Eigeninitiative: Mit Wörterbüchern bewältigte man den Alltag oder brachte sich selbst die Sprache bei. Laiendolmetscher vermittelten in Firmen zwischen Betriebsleitung und Arbeiterinnen und Arbeitern.
Bei Behördengängen und Arztbesuchen übersetzten oft die Kinder für ihre Eltern - eine Rollenumkehr, die viel Verantwortung von den Kindern verlangte! Filiz Calayir erzählt, wie sie sich als Jugendliche für andere türkische Landsleute bei der Fremdenpolizei oder dem Arbeitsamt einsetzte, ohne die Gesetzeslage zu verstehen.
Und wie hat das Schulsystem auf die Migration geantwortet? Während die Kinder der ersten Generation von Arbeitsmigrantinnen und -migranten noch wenig schulische Unterstützung erhielten, sind heute der Deutschförderunterricht, Deutsch als Zweitsprache und der muttersprachliche Unterricht selbstverständlicher Bestandteil des Schulalltags. „Interkulturelle Begegnung“ statt „Ausländerpädagogik“ und Mehrsprachigkeit als gesellschaftlicher Wert, markieren ab den 1990er Jahren die Wende laut Nataša Maroševac von der Schulberatungsstelle für Migrantinnen und Migranten (seit 2019 Bildungsdirektion Tirol). Sprache ist und bleibt dennoch ein heiß umkämpftes Thema in der Integrationsdebatte.
Dass Sprache auch ein Instrument der Selbstermächtigung ist, erklärt Tuğba Şababoğlu: Bewusst spricht sie perfektes Hochdeutsch, um den klischeehaften Erwartungen aufgrund ihres Aussehens zu widersprechen.
Als 13-Jährige ohne deutsche Sprachkenntnisse in die Hauptschule Jenbach eingeschult, erinnert sich Güldane Gönül anhand von Bildern an Diskriminierungen durch MitschülerInnen, etwa bei der Klassenfahrt nach Wien (hier mit ihrem Bruder) oder beim Schwimmunterricht.
Leihgaben von Güldane Gönül
Im Selbststudium nur mit diesem deutsch-französischen Wörterbuch erlernte Sadok Bacha Deutsch. Er kaufte dieses Buch nach seiner Ankunft aus Tunesien in Wien 1977. Die Sprachkenntnisse benötigte er für seine Arbeit als Kellner in Gastronomiebetrieben.
Leihgabe von Sadok Bacha
Ömer Yıldız brachte seine Erfahrungen als Arbeitsmigrant mittels Lyrik zum Ausdruck.
Das Poesiealbum mit türkischen und deutschen Einträgen sowie das Abschlusszeugnis der Hauptschule 1987/88 erinnern an Yasemin Durans Schulzeit in Telfs. Für hervorragende Schulleistungen bekam sie Bücher, gewidmet vom damaligen Bürgermeister Helmut Kopp.
Leihgaben von Yasemin Duran
Verfügbare Bücher für den Unterricht fremdsprachiger SchülerInnen Anfang der 1990er: „Ich lerne Deutsch. Arbeitsblätter für fremdsprachige Schüler“, 1990, 13. Aufl. (Orig. 1973)
Leihgaben von Annemarie Dayan
An der Anton Auer Hauptschule in Telfs entstand 1992 unter der Anleitung des Lehrers Johann Hechenberger „Unser Buch“. SchülerInnen setzen sich darin mit vielfältigen kulturellen Prägungen, Herkunftsländern, Rassismen und Vorurteilen auseinander.
Schenkung von Nataša Maroševac
Die „Tiroler Tageszeitung“ berichtet 1972 zu Sprachkursen und mehrsprachigen Beratungsangeboten der Arbeiterkammer. Wegen mangelnder Deutschkenntnisse wurden die „Gastarbeiterkinder“ oft in niedrigeren Schulklassen eingestuft. Der Altersunterschied zu den wesentlich jüngeren Kindern förderte wohl oft Distanz.